Arbeit und Kapital in Zeiten der Wissensgesellschaft

Guido Baldi und Frédéric Kluser

 

Dieser Artikel ist im August 2019 auf reatch.ch veröffentlicht worden.

 

Die Löhne in vielen Volkswirtschaften legen nur verhalten zu. Demgegenüber sind die Gewinne einiger grosser Firmen kräftig gestiegen. Was ist dran am oft beschworenen Kampf zwischen Arbeit und Kapital? 

 

In den vergangenen Jahrzehnten war die Lohnentwicklung in vielen entwickelten Volkswirtschaften gedämpft. Während die Beschäftigten in den 1970er Jahren vielerorts noch mehr als zwei Drittel des Gesamteinkommens einer Volkswirtschaft erhielten, ist dieser Anteil inzwischen in vielen Ländern um fünf bis zehn Prozentpunkte gesunken [1]. Im gleichen Zeitraum sind die Gewinne von zumeist grossen und produktiven Unternehmen angestiegen. Bedeutet dies, dass wir einen neuen Kampf zwischen Arbeit und Kapital erleben? Verschiedene Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese Schlussfolgerung wohl zu einfach ist. So sind nicht nur die Gewinne einiger Firmen, sondern auch die Unternehmensersparnisse deutlich angestiegen [2]. Die globale Sparquote der Firmen lag zuletzt bei rund 13 Prozent, was gegenüber den 1980er Jahren einem Anstieg von rund fünf Prozentpunkten entspricht [3].

Die entscheidende Frage ist: Warum brauchen Unternehmen diese Ersparnisse? Die wohl plausibelste Erklärung der wissenschaftlichen Forschung ist, dass viele der Firmen, die diese Entwicklungen treiben, stark durch langdauernde und teure Forschungsprojekte gekennzeichnet sind – das sogenannte «immaterielle Kapital» wird immer wichtiger [4]. Immaterielles Kapital wird etwa aufgebaut durch Forschung und Entwicklung, Software, Organisationskapital oder Markenrechte. Diese typischerweise langfristigen, teuren, und unsicheren Investitionen lassen sich weniger gut durch Fremdkapital finanzieren als materielle Investitionen; sie bieten den Kreditgebern weniger Sicherheiten, die sich im Falle eines Kreditausfalls mit wenig Aufwand an andere verkaufen liessen. Die Firmen müssen daher ihre immateriellen Investitionen verstärkt aus eigenen Mitteln finanzieren und dafür Gewinne einbehalten – also sparen. Gleichzeitig sind sie bedacht, aus den hohen Investitionen auch hohe Gewinne zu generieren – etwa über Patente oder eine Stärkung der Marken. Auf dieser Art von innovativem Kapital wird also tatsächlich eine hohe Rendite erzielt. Auf anderen Kapitalformen, etwa als sicher eingestufte Anleihen, sind die Renditen deutlich niedriger.

Hier zeigen sich die Merkmale einer neuen Wirtschaft, die immer stärker wissensintensiv und durch langfristige immaterielle Investitionen gekennzeichnet ist. Firmenersparnisse können deshalb als Indikator für die Innovationskraft einer Volkswirtschaft dienen. Aber nicht alle Firmen und Beschäftigten nehmen gleichermassen an dieser Entwicklung teil. Bislang scheinen vor allem grosse, produktive Firmen sowie gut ausgebildete Beschäftigte von der zunehmend wissensintensiven Wirtschaft zu profitieren. Diese Firmen kommen aber auch mit vergleichsweise wenigen Beschäftigten aus. In anderen Bereichen der Wirtschaft sind diese Entwicklungen weniger spürbar. Immaterielle Formen von Kapital und sehr gut ausgebildete Beschäftigte scheinen zu profitieren, während sich materielle Investitionen weniger lohnen und weniger gut ausgebildete Beschäftigte nur geringe Lohnanstiege erleben. Zumindest in einigen Ländern ist darum die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen merklich angestiegen.

Die Schweiz bildet bei diesen Entwicklungen eine Ausnahme. So ist der Anteil der zurückbehaltenen Gewinne am Bruttoinlandprodukt etwas zurückgegangen – das Niveau ist aber im Vergleich zu vielen anderen Ländern immer noch hoch. Auch die Ungleichheit bei den Einkommen scheint – zumindest aufgrund der verfügbaren Daten – nur wenig zugelegt zu haben. Dies sollte allerdings nicht nur positiv interpretiert werden. Mit der nötigen Vorsicht kann die Abnahme der Firmenersparnisse als Hinweis für eine gedämpfte Entwicklung der Innovationskraft der Schweizer Unternehmen aufgefasst werden.

Ob sich diese Entwicklungen – insbesondere der Trend zu mehr immateriellem Kapital – fortsetzen, ist kaum vorhersehbar.  Bahnbrechende Entwicklungen – etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz – könnten die Bedeutung von immateriellen Kapitalformen weiter vergrössern. Allerdings ist es auch denkbar, dass die Forschung in diesen Bereichen noch kostenintensiver wird und länger dauert. Wichtig ist, dass der technologische Wandel nicht wie zu oft in den vergangenen Jahren vor allem wenigen Firmen und Beschäftigten nutzt, sondern auf breiter Ebene zu guter Arbeit und besser bezahlten Arbeitsplätzen führt.

 

Referenzen:

 

[1] Vgl. etwa Karabarbounis, L. und B. Neiman (2014). The Global Decline of the Labor Share. NBER Working Paper w19136;

[2] Armenter, R. (2012). The Rise of Corporate Savings. Q3. Philadelphia Fed. Bacchetta, P. und K. Benhima (2014b). The role of corporate saving in global rebalancing. VoxEU.org. url: http://voxeu.org/article/role-corporate-saving-globalrebalancing; Chen, P., L. Karabarbounis, und B. Neiman (2017a). The global corporate saving glut: Long-term evidence. VoxEU.org. url: http://voxeu.org/article/globalcorporate-saving-glut; Gruber, Joseph W. und Steven B. Kamin (2016). „The Corporate Saving Glut and Falloff of Investment Spending in OECD Economies“. In: IMF Economic Review 64.4, S. 777–799;  Cesaroni, Tatiana, Riccardo De Bonis, und Luigi Infante (2017). On the determinants of firms’ financial surpluses and deficits. 43. Bank for International Settlements.

[3] Chen, P., L. Karabarbounis, und B. Neiman (2017a). The global corporate saving glut: Long-term evidence. VoxEU.org. url: http://voxeu.org/article/globalcorporate-saving-glut.

[4] Vgl. etwa Jonathan Haskel and Stian Westlake (2017): “The Intangible Economy”, Princeton University Press. Baldwin, R. (2019): “The Globotics Upheaval: Globalization, Robotics, and the Future of Work”, Oxford University Press; Bloom, N., Jones, C., Van Reenen, J. and M. Webb (2017): "Are ideas getting harder to find?," LSE Research Online Documents on Economics 86588, London School of Economics and Political Science.