Sind die USA der Wachstumsmotor für die Welt?

Dieser Artikel ist im Juni 2015 in der Zeitschrift kmu Rundschau erschienen.

 

Oft wurde der US-Wirtschaft schon der Absturz vorhergesagt – zuletzt nach der Finanzkrise im Jahr 2008. Doch die Vereinigten Staaten schaffen es durch Flexibilität und Innovationen immer wieder, sich rasch von einer Krise zu erholen. So befindet sich die US-Wirtschaft momentan im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften in einem beneidenswerten Zustand. Auch wenn sich im ersten Halbjahr 2015 eine vorübergehende Wachstumsverlangsamung abzeichnet, deutet doch einiges darauf hin, dass die USA in den kommenden Jahren zu einem wichtigen Wachstumsmotor für die Welt werden. Zusammen mit der Aufwertung des Dollars bietet die wachsende Investitionsbereitschaft der US-Unternehmen grosse Chancen für Schweizer Exportfirmen. Allerdings hängt die künftige Entwicklung der US-Wirtschaft stark davon ab, ob im Zuge der Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt auch die Einkommen der amerikanischen Haushalte kräftiger zulegen als in den vergangenen Jahren.

 

Die USA sind deutlich besser durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen als viele Länder in Europa. In den Vereinigten Staaten hat die Wirtschaft seit Ende 2008 real um mehr als elf Prozent zugelegt und dürfte auch 2015 nach einem schwachen Auftaktquartal mit einer Rate zwischen zwei und drei Prozent wachsen. Die EU hingegen wird voraussichtlich erst im laufenden Jahr wieder ein höheres Bruttoinlandsprodukt als vor der Krise aufweisen. Die vergleichsweise robuste wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten lässt sich auch daran ablesen, dass Unternehmen in den USA optimistischer in die Zukunft blicken und kräftiger investieren als  jene in Europa. Die Investitionen waren auf der anderen Seite des Atlantiks im vergangenen Jahr real um fast achtzehn Prozent höher als im Jahr 2008, während sie sowohl in der EU als auch im Euroraum erst 2014 wieder dasselbe Niveau wie vor der Finanzkrise erreicht haben. Bei der Infrastruktur besteht allerdings in den USA wie in vielen anderen Ländern ein Nachholbedarf, auch wenn diese Infrastrukturlücken gelegentlich etwas übertrieben dargestellt werden.

 

Die Schweizer Exportstruktur kommt dem Bedarf von US-Unternehmen beim Aufbau und der Modernisierung der Produktionskapazitäten mit qualitativ hochwertigen Maschinen und Zulieferteilen entgegen. Ein kräftiger US-Wachstumsmotor bietet deshalb grosse Chancen für die Schweizer Exportwirtschaft – insbesondere für die Maschinenbranche – und dürfte vor dem Hintergrund des schwachen Euros und der wenig dynamischen Entwicklung in Europa einer der wichtigsten Exportwachstumstreiber sein.  Die wirtschaftliche Stagnation im Euroraum war ein wichtiger Grund für die Europäische Zentralbank, im März dieses Jahres ein massives Anleihekaufprogramm zu starten. Demgegenüber hat die US-Notenbank ihr eigenes Kaufprogramm im vergangenen Jahr auslaufen lassen und bereitet nun die Finanzmärkte auf eine erste Erhöhung der Leitzinsen vor. Diese weniger expansive Geldpolitik verringert die mittlerweile hohen Gefahren von Blasenbildungen an den Finanzmärkten und verdeutlicht die gegenwärtig vergleichsweise günstige Lage der US-Wirtschaft. Sind die USA somit in den kommenden Jahren wie so oft in der Vergangenheit in der Rolle des globalen Wachstumsmotors? Einiges deutet darauf hin, vor allem nachdem wichtige Schwellenländer wie China oder Brasilien an Dynamik verloren haben. Allerdings ist auch Vorsicht geboten.

 

 

Kopfzerbrechen bereiten insbesondere der Arbeitsmarkt und die Entwicklung der verfügbaren Einkommen. Zwar schaffen die US-Unternehmen trotz einer wohl vorübergehenden Delle im Frühjahr des laufenden Jahres viele neue Stellen; im Jahr 2014 wurde das höchste Beschäftigungswachstum seit 1999 verzeichnet. Die Arbeitslosenquote hat sich seit 2009 beinahe halbiert und lag im März des laufenden Jahres noch bei 5,5 Prozent. Weiterhin ist aber die Zahl jener hoch, die sich zumindest vorübergehend aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben – vielfach weil sie die Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben. Zudem werden häufig schlecht bezahlte neue Jobs geschaffen – etwa in der Gastronomie. So haben die verfügbaren Einkommen in den vergangenen Jahren nur leicht zugelegt – pro Kopf beläuft sich der jährliche reale Zuwachs lediglich auf rund ein Prozent. Die Brieftasche der grossen Masse spürt die Fortschnitte auf dem Arbeitsmarkt also nur wenig. Für eine nachhaltige Erholung der US-Wirtschaft braucht es aber deutlichere Zuwächse bei den Löhnen, was etwa durch mehr gut bezahlte Stellen in der Industrie oder in anderen Sektoren mit hoher Produktivität erreicht werden kann. Nur so können der private Konsum und die bis anhin schleppende Erholung des Wohnungsbaus zulegen, ohne dass sich die Verschuldung der Haushalte wie vor der Krise dramatisch ausweitet. Mehr Jobs mit hoher Produktivität und ein stärkerer Anstieg der Haushaltseinkommen sind zentral, damit die US-Wirtschaft weiter kräftig zulegen und ein Motor für die Weltwirtschaft – und die Schweizer Exportbranche – sein kann.